Ina Cohen
(Freie Universität Berlin: Gertrud Pickhan, Erstbetreuung / Miriam Rürup: Zweitbetreuung)
Dissertationsvorhaben:
Verlorene Generation? Psychologische Rehabilitation und Fürsorge von unbegleiteten jüdischen Kindern in der U.S.-amerikanischen Besatzungszone Deutschlands durch die UNRRA
Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren mehr als eine Million jüdische Kinder den nationalsozialistischen Rasse- und Vernichtungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Lediglich einigen wenigen gelang es zu überleben. Diese Jungen und Mädchen fanden sich vielfach nach Kriegsende ohne die Begleitung eines Elternteils oder eines engen Verwandten außerhalb ihrer Heimatländer wieder. Die Notwendigkeit, ihnen Schutz, Nahrung und intensive psychologische Betreuung zu bieten, war offensichtlich. Europaweit nahmen sich verschiedene nationale und internationale Hilfsorganisationen, (Militär-)Regierungen als auch die erwachsenen Überlebenden selbst in vielfältiger Weise diesen verwaisten und unbegleiteten Kindern (unaccompanied children) an. In der U.S.-amerikanischen Besatzungszone Deutschlands versuchte die 1943 gegründete United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) der humanitären und pädagogischen Aufgabe zu begegnen. In speziell eingerichteten DP Children’s Centers waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNRRA bestrebt Jungen und Mädchen, die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen geworden waren, auf ein Leben außerhalb der DP Camps und DP Children’s Centers vorzubereiten.
In diesem Dissertationsprojekt wird untersucht, wie die Kinderfürsorge und Nachkriegsrehabilitation von verwaisten und unbegleiteten jüdischen Kindern durch die UNRRA in der U.S.-amerikanischen Besatzungszone Deutschlands ausgesehen hat. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die psychologische Rehabilitation gerichtet werden. Während sich die humanitären Anstrengungen der Zwischenkriegszeit in erster Linie auf die materiellen Bedürfnisse von Kindern konzentriert hatten, bemühten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNRRA in Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals die Jungen und Mädchen auch psychologisch zu rehabilitieren. Ein Umstand, der in der Geschichtsforschung bislang nur wenig Beachtung fand. Um diese Lücke zu schließen, wird in dieser Arbeit zum einen analysiert, welche Handlungsansätze und Methoden sowie Zielsetzung die UNRRA mit ihren Rehabilitationsmaßnahmen verfolgte und wie diese in der Praxis umgesetzt wurden. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, mit welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNRRA insbesondere durch die Ankunft von zionistischen Jugendorganisationen und Überlebenden aus Osteuropa konfrontiert sahen und welche Auswirkungen diese auf die Fürsorge und Rehabilitation von verwaisten und unbegleiteten Jungen und Mädchen hatten.
Um diese Fragen beantworten zu können, konzentriert sich diese Arbeit, die als eine Sozial- und Alltagsgeschichte angelegt ist, auf die „history of the articulate”[1] - das heißt auf die Perspektive von Hilfsorganisationen, Sozial,- und Fürsorgemitarbeiterinnen und -mitarbeitern und deren Versuche, Prozesse und Wege der Rehabilitation für überlebende Kinder zu gestalten. Aus diesem Grund bilden insbesondere Verwaltungsakten der UNRRA, die im Rahmen der Suche nach bzw. Fürsorge von verwaisten und unbegleiteten Jungen und Mädchen entstanden sind sowie Ego-Dokumente und Selbstzeugnisse von damaligen Fürsorgemitarbeiterinnen und -mitarbeitern die zentralen Quellen für diese Studie.
[1] Stearns, Peter N.: Challenges in the History of Childhood, in: Journal of the History of Childhood and Youth 1 (2008), 1, S. 35–42, hier: S. 35.