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09/23 - Ariel Magnus: Tür an Tür. Nazis und Juden im argentinischen Exil
Lisa Sophie Gebhard:
Ariel Magnus, Tür an Tür. Nazis und Juden im argentinischen Exil, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023.
In seinem neuen Buch erzählt der 1975 in Buenos Aires geborene Schriftsteller Ariel Magnus die bewegende Geschichte seiner Familie, in der sich die vielverzweigten argentinisch-deutsch-jüdischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts biografisch bündeln. Der schmale Band beginnt dazu mit einer Familienanekdote, die in das spannungsreiche Beziehungsgeflecht einführt.
Nachdem seinem Großvater Hans Magnus, einem deutschen Juden aus Hamburg, in den 1930er Jahren die Flucht nach Argentinien gelungen war, lebte er zusammen mit seiner Frau in einem deutsch geprägten Stadtteil von Buenos Aires. Im Haus über ihnen wohnten die Winklers, eine ebenfalls aus Deutschland migrierte Familie. Vor allem Frau Winkler, in der Magnus-Familie als „Quasimodo von Buenos Aires“ erinnert, verbarg ihre nazistische Abneigung gegen die neuen jüdischen Nachbarn nicht: „Hitler hat zu wenige von euch getötet“, sagte Frau Winkler, wenn sie einen guten Tag hatte. An allen anderen Tagen kamen nur Schimpftiraden.
Das Beispiel der streitsüchtigen Nachbarin, die bisweilen Abfälle und Kot von ihrem Balkon auf die Terrasse der Großeltern schmiss, greift den Titel des Buches auf. Argentinien, das seit 1853 eine liberale Einwanderungspolitik auszeichnete, wurde im 20. Jahrhundert nicht nur für deutsche Jüdinnen und Juden zur Destination, sondern auch für nationalsozialistische Deutsche. In dem Land trafen so – mitunter Tür an Tür – jüdische Geflüchtete auf Nationalsozialist*innen, während „Wolgadeutsche“ oder österreichische „Halbjeckes“ die deutschsprachige Gruppe in Argentinien noch diversifizierten.
Die aus diesen Begegnungen erwachsenen Spannungen thematisiert Magnus mit einer ihm eigenen Ironie und wirft dabei die essenzielle Frage nach Zugehörigkeiten auf. Ihm zufolge hätten Jüdinnen und Juden in Argentinien oft als zu jüdisch für die deutsche, nichtjüdische Community gegolten, während sie von anderen jüdischen Gruppen, darunter den ostjüdischen „rusos“, als Deutsche wahrgenommen wurden. Als ein Angehöriger der dritten Generation versteht sich Magnus selbst als Argentinier, aber auch als „Jecke“, der deutsche Bräuche wie die Schultüte am ersten Schultag lange Zeit für eine jüdische Tradition hielt.
„Tür an Tür“ ist ein faszinierendes Buch, das sich rasant und unterhaltsam liest und dabei viel Wissenswertes über Argentinien als Einwanderungsland bereithält. In seinem selbstironischen Familienporträt, das bei allem Humor ein kritisches Problembewusstsein grundiert, begibt sich Magnus auf eine „argendeutsche“ Reise: Von dem jeckisch geprägten Viertel Belgrano im Norden der Hauptstadt bis zur argentinischen Niederlassung von Mercedes Benz, in der der Kriegsverbrecher Adolf Eichmann nach dem Krieg Arbeit fand.
Aus der ironischen Distanz einer dritten Generation beleuchtet Magnus die tragischen Facetten deutschjüdischer Identität(en) im Kontext von Verlust und Neubeginn. Die Aufgabe dieser Generation, so Magnus, der heute in Berlin lebt, bestünde aus einer Mischung von Versöhnung und Wachsamkeit: Zwar ist Gras darüber gewachsen […], aber wir alle wissen, wie schnell das Grüne verschwindet und das Braune hervorkommt, wenn die hölzernen Ränder einer einzigen Karre den alten Weg wieder aufnehmen.