Bereiche
Die Forschungen am MMZ konzentrieren sich sowohl auf gesellschaftliche Herausforderungen, mit denen die jüdische Minderheit konfrontiert war und ist, wie auch auf vergleichende sozialgeschichtliche Fragestellungen, soziokulturelle und ideengeschichtliche Aspekte. Dabei ist der Blick auf die europäisch-jüdischen Studien ein äußerst breit angelegter, weswegen sich die Themen in so verschiedene Bereiche wie jüdische Landeskunde, deutsch-deutsche Perspektivierungen der jüdischen Geschichte, aber auch Untersuchungen zu Zionismus und Israel und bis hin zur Rechtsextremismusforschung gleichsam als „Gegenpart“ auffächern.
Europäisch-jüdische Geschichte
Moderne jüdische Geschichte in Europa steht sowohl für kulturelle Vielfalt und einen beispiellosen sozialen Aufstieg innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wie für eine sich etwa zeitgleich entwickelnde religiöse Pluralität und Ausdifferenzierung jüdischer Selbstverständnisse. Genauso steht jüdische Geschichte aber immer auch – wenn auch bei weitem nicht ausschließlich – für eine Geschichte der Marginalisierungen. Den Projekten am MMZ liegt dabei ein Verständnis von jüdischer Geschichte zugrunde, das der weit verbreiteten Gleichsetzung von jüdischer Geschichte mit passiver Verfolgungsgeschichte entgegenwirken möchte. Die historische Rekonstruktion sowie die Analyse der Entstehungsbedingungen europäisch-jüdischer Existenz von der Frühen Neuzeit bis zur Nachkriegszeit, mit einem naheliegenden Fokus auf die Deutsche Demokratische Republik werden dabei in den Blick genommen.
Religion und Wissen
Die über sechs Jahrtausende zurückreichende Geschichte der jüdischen Religion bildet nicht nur das Fundament seiner heutigen Strömungen, sondern auch eine elementare Basis jüdischen Wissens. Der Horizont jüdischen Wissens weist jedoch auch über das engere Verständnis seiner rein religiösen Bezüge hinaus und umfasst ein breites Spektrum an Themen und Fragestellungen, die sich spätestens seit der Philosophie Spinozas und Moses Mendelssohns, der jüdischen Aufklärung (Haskala) im 18. Jahrhundert und ihrer Fortentwicklung in der Wissenschaft des Judentums seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Ihre Rekonstruktion in philosophisch-hermeneutischer und wissensgeschichtlicher Hinsicht gehört zum Aufgabengebiet des Forschungsbereichs Religion und Wissen am MMZ. Jüdische Studien sind in diesem Kontext wissenschaftliche Forschungen über die jüdische Religion.
Kultur und Sprache
Die mannigfaltigen Ausdrucksformen jüdischen Kulturerbes finden sich in der Literatur und Musik wie auch in der bildenden Kunst und den darstellenden Künsten. Zu ihrer systematischen und exemplarischen Erforschung tragen die Projekte des Bereichs „Kultur und Sprache“ am MMZ bei, wobei philologische und kulturwissenschaftliche Ansätze ebenso zum Tragen kommen wie auch solche der Kunstgeschichte.
Regional- und Lokalgeschichte (Jüdisches Brandenburg)
Seit dem 13. Jahrhundert ist jüdisches Leben in Brandenburg nachweisbar. Seine vielfältige und wechselvolle Geschichte ist Gegenstand des Forschungsbereichs der jüdischen Landes- und Regionalgeschichte am MMZ. Neben den Wandlungsprozessen ihrer sozialen und rechtlichen Lage, interessieren uns dabei insbesondere auch die Spuren jüdischen Lebens vor Ort. Dies betrifft nicht nur die Beforschung der schriftlichen Überlieferung jüdischer Gemeinden, sondern gerade auch das Auffinden, Bestimmen und Bewahren ihrer materiellen Kulturen aus Synagogen, auf jüdischen Friedhöfen bis hin zu persönlichen Gegenständen des Alltags. Ein weiterer Schwerpunkt liegt dabei auf der Erforschung und Dokumentation ehemaliger jüdischer Schulen und Haschara-Ausbildungsstätten in Brandenburg sowie auf der Gedenkstättenarbeit.
Israel, Zionismus und Diaspora
In der Erforschung der Geschichte des Staates Israel spielt auch die Geschichte des Zionismus als Grundlage für das Verständnis der israelischen Gegenwart eine wichtige Rolle. So beschäftigen sich die Forschungsprojekte des MMZ sowohl mit der historischen Analyse der zionistischen Kultur – dies dabei immer mit der spezifisch deutsch-jüdischen Perspektive. So gehört auch eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Diaspora in diesen Forschungskontext. Und dies in einem zweifachen Verständnis: die Diaspora in zionistischer Lesart als die jüdische Existenz außerhalb Zions einerseits und die Entstehung einer deutsch-jüdischen Diaspora außerhalb Deutschlands infolge der Emigration und Vertreibung aus Deutschland.
Gesellschaft und Gegenwart
Die sozialwissenschaftliche Untersuchung der aktuellen Entwicklungen jüdischen Lebens ist das Themenfeld des Forschungsbereichs Gesellschaft und Gegenwart. Die Migrationsbewegungen seit 1990 und die Transformationsprozesse in den jüdischen Gemeinden vor Ort sind dabei ebenso von Interesse, wie empirische Untersuchungen über die Sozialisationen, beruflichen Orientierungen oder individuellen Einstellungsmuster von Jüdinnen und Juden. Ein Fokus liegt dabei immer auch auf ihren Verhältnissen zu den nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaften, der anhaltenden Rolle des Antisemitismus, aber auch den vielfältigen Verflechtungen im gesellschaftlichen Zusammenleben.
Antisemitismus und Rechtsextremismus
Die Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus in Geschichte und Gegenwart sowie die Auseinandersetzung der demokratischen und zivilen Gesellschaft zur Abwehr dieser Tendenzen werden am Moses Mendelssohn Zentrum insbesondere von der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle (EJGF) bearbeitet.
Von einem interdisziplinären kultur- und sozialwissenschaftlichen Ansatz ausgehend, widmet sich die EJGF Phänomen des Antisemitismus, des Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus, des Rassismus und der Xenophobie sowie weiterer verwandter Tendenzen.
Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Akteuren – Einzelpersonen, Parteien und Vereinen, Kleingruppen und Netzwerken, Verlagen, Zeitschriften und Medien usw. – und ihren Handlungen – von der alltäglichen Diskriminierung bis zur Produktion von Ideologie und Propaganda, von Aufmärschen und Schmierereien bis zu Friedhofs- und Gedenkstättenschändungen, von Gewalttaten bis zum gezielten terroristischen Mord.
Antisemitismus und Rechtsextremismus werden dabei nicht nur als Einstellungen und Ideologien oder als Verhaltensmuster gewertet, sondern als historisch gewachsene politische Bewegungen, die auf die Entfaltung von politischem oder kulturellem Einfluss orientiert sind. Daher wird an der EJGF nicht nur die Gegenwart von Antisemitismus und Rechtsextremismus erforscht, sondern auch deren geschichtliche Entwicklungen.
Einen Fokus der Studien bilden rechtsextreme Phänomene und Akteure im Land Brandenburg und den ostdeutschen Bundesländern. Diese regionale Dimension des Rechtsextremismus wird kontinuierlich erfasst, dokumentiert und analysiert.
Wissenstransfer und Vermittlung
Das MMZ sieht sich an der Schnittstelle zwischen Universität, schulischen und außerschulischen Bildungsträgern (auch in der Erwachsenenbildung) sowie einer interessierten allgemeinen Öffentlichkeit. In diesem Arbeitsbereich werden aus den wissenschaftlichen Forschungen heraus akademische Outreach-Programme entwickelt, die Erkenntnisse aus der jüdischen Minderheitsforschung, der Regionalgeschichte ebenso wie der Antisemitismusforschung vermitteln sollen. Diese entstehen in enger Kooperation mit Bildungsträgern vor Ort und richten sich dabei an Multiplikatoren und Schulen.
Digitale Geisteswissenschaft
Im Zeitalter der weltweiten Vernetzung und der Digitalisierung werden wissenschaftliche Serviceangebote immer wichtiger zur Profilierung nicht nur kleinerer Einrichtungen. Das MMZ versteht sich dabei aber nicht nur als Dienstleister, sondern auch als Akteur einer verstärkt sich profilierenden „Jewish Digital History“, die verschiedene Angebote miteinander vernetzt, gerade auch in der lokalen Potsdamer Digitalisierungslandschaft. Zentrales Projekt ist dabei das am MMZ angesiedelte Online-Portal zur jüdischen Geschichte, das gemeinsam mit Dr. Anna Menny vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg entwickelt wird. In diesem werden diverse historisch fundierte Online-Angebote modular Eingang finden und zugleich hypertextuell (etwa über übergeordnete Suchfunktionen) verbunden werden.